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Arved kickert inklusiv

„Schöne Burg, Mama“, findet mein Sohn. Damit meint er das Victor-Andersen-Haus, die Jugendbildungsstätte in Barmstedt. Am letzten Tag seiner Sommerferien macht Arved mit beim „Inklusiven Kickerturnier“, zu dem der Kreisjugendring (KJR) Pinneberg eingeladen hat. Fußballfähnchen schmücken das Gelände rund um das imposante Backsteingebäude, blauer Himmel und Sonnenschein über uns allen. Arved stürzt sich gleich ins Getümmel und erkennt – stop, erst mal anmelden. Er hat viel Erfahrung mit offenen Kinder- und Jugendangeboten.

„Du willst aber nicht mitkickern, oder?“, fragt mich Joshua vom KJR-Team, während er mir mein vorbereitetes Namensschild zum Aufkleben reicht. Das Alter spielt hier (soweit war das abgeklärt) keine Rolle, wer Lust hat, ist dabei. Inklusion. Nein, kickern will ich nicht! Ich will dabei sein und erleben, wie das inklusive Turnier abläuft – und wer das Angebot so annimmt. Außer mir und meinem Sohn. Arved ist schon 16, also älter und größer als die meisten Kinder – und wahrscheinlich der Einzige, dem ein Stück vom fünften Chromosom fehlt. Inklusives Kickerturnier – genau das Richtige für ihn.

Anfangs findet er es ein wenig schwierig, bei den wechselnden kleinen Gruppen anzukommen. „Freies Daddeln“ ist angesagt. Alle probieren aus, was an Spielen im Angebot ist: Torwand, Magnetspiel, Vier-gewinnt, die große Rasenfläche zum echten Bolzen und natürlich die Kickertische. Alle paar Minuten ist Wechsel angesagt, und so beschnuppern sich ganz nebenbei Groß und Klein. Arved orientiert sich an den Betreuern, weil er weiß – das funktioniert, die sind verlässlich für mich da. Simon versorgt ihn mit einem eigenen Becher. Allein kann er den nicht beschriften, aber das muss er auch nicht. Jedes Kind bekommt hier die Hilfestellung, die es braucht. „Er passt hier super rein“, findet Ingo Waschkau, Geschäftsführer des KJR Pinneberg. Wir kennen uns bisher nur „online“. Die Netzwerktreffen zum Thema inklusive Kinder- und Jugendarbeit mussten wegen der Pandemie im Netz stattfinden, heute begegnen wir uns persönlich. Aus unseren Gesprächen vorab weiß ich – dem KJR-Team geht es nicht um Altersgrenzen, es geht um Menschen, die an diesem Tag Spaß miteinander haben. Ja, Arved passt hier super rein. Mal sehen, ob noch andere kommen.

Zwischen den vielen Einzelduellen in den Gruppen Rot und Grün ergibt sich das Miteinander unweigerlich. Mein Sohn schießt ziemlich kräftig auf das Tor, das drei kleine Jungs mit vereinten Kräften hüten. Nachteilsausgleich, selbst organisiert. Kurze Zeit später hocken sie zu viert im Gebüsch und suchen einen verschossenen Ball.

Dann gibt’s Mittagessen, und alle tigern zum Grill. Da hole ich mir auch gern ein Würstchen ab. Und philosophiere mit dem Grillmeister, warum das so schwierig ist mit der Inklusion. Wieso kommt (kaum) keiner? Simon ist ehrlich, aus Veranstaltersicht: „Ja, wir sind schon enttäuscht.“ Das KJR-Team habe überall geworben, die Teilnahme sei kostenlos, die Netzwerkpartner waren bei der Planung mit im Boot. „Mehr können wir nicht tun. Irgendwo bleibt es stecken…“, sagt er und versichert, Inklusion als Schwerpunkt-Thema werde uns weiter begleiten. Da fassen wir dann wieder Mut und die Lust auf gemeinsames Wirken bricht wieder durch.

Plötzlich ist professioneller Einsatz gefordert. Ein Junge wendet sich gefasst, aber bekümmert an den Betreuer: „Ein Junge an meinem Tisch hat in meinen Essen gespuckt!“ Mir schwant, wer das war. Wahrscheinlich keine Absicht, doch was hilft das? Simon hilft, und klärt wer, wo, was. Und ich erkenne, dass ich mich da als Mutter(!) in dieser heiklen Situation einfach heraushalten kann. Der Junge weiß, was er möchte – neues Essen und auch einen neuen Teller. Beides bekommt er, wird zu seinem Tisch begleitet und setzt sich beruhigt und zufrieden wieder auf seinen alten Platz. Neben Arved. Ich freue mich, dass ich gerade „raus“ war und nicht „rein“ musste. Das Team federt ab, was ich in anderen Situationen gnadenlos selbst regeln muss. Das ist doch gerade das Tolle an Inklusion – man lernt. Immer. Über sich selbst. Ich liebe das!

Die Sonne scheint zuverlässig bis zum Turnierschluss am Nachmittag. Siegerehrung im Großen Unterstand, jeder Kicker bekommt eine Goldmedaille. Ingo fast zusammen: „Alle sind Gewinner, alle hatten Spaß!“ Stimmt genau. Und deshalb werde mich weiterhin für Inklusion einsetzen. Egal, wer noch kommt. Überall werben, mehr können wir nicht tun.