Posted on

Liebe auf den ersten Vortrag, sagt Sarah

Theorie ist das eine, praktisches Erleben das andere. Sarah Riehle weiß, wovon sie schreibt. Die 36-jährige lebt in Wedel und arbeitet als Übersetzerin und Lektorin. Ihre Fachgebiete sind Neurologie und inklusive Kommunikation, die Arbeitssprachen Englisch und Deutsch. Wir haben uns kennengelernt, als sie über Mehr miteinander! eine Begleitung fürs Schwimmen suchte. Seither stehen wir in Kontakt. Sarah nutzt aufgrund einer durch Sauerstoffmangel bei der Geburt verursachten Cerebralparese überwiegend einen Rollstuhl. Die hindert sie nicht daran, ihr Leben aktiv zu gestalten. An guten Tagen gerne ein paar Meter laufend. Sie musste nicht lange überlegen, ob sie regelmäßig für die Teilhabe-Info schreiben möchte. Klar wollte sie. Hier erzählt sie eine berufliche Beziehungsgeschichte:

Die Wahrscheinlichkeit, dass Leichte Sprache und ich jemals zueinander finden würden, ging anfangs gegen Null. Meine Spezialisierung auf damals „Neurologie und Barrierefreiheit“, inzwischen „Neurologie und barrierefreie Kommunikation“, zu der auch Leichte Sprache zählt, war bestenfalls ein Traum in Kinderschuhen. Und ich (noch) nicht mutig genug, die sich aus meiner vorangegangenen Berufsausbildung ergebende Spezialisierung auf Logistik über Bord zu werfen. Aber der Reihe nach.

Am 24. September 2015, guckte ich aus dem Gefühl heraus noch einmal bei der XING-Gruppe „DVÜD e.V.“ vorbei. „DialogKonferenz 2015 #DKonf2015“, las ich zunächst. Damals in Baden-Württemberg lebend, war ich zunächst sicher, dass die Konferenz, bei meinem Glück, entweder schon vorbei oder auf die Schnelle unerreichbar, zu teuer etc. wäre. Veranstalter war mein späterer Berufsverband, der Deutsche Verband der freien Übersetzer und Dolmetscher, (DVÜD e.V.). Ich guckte mal genauer hin und stellte fest:

  • Veranstaltungsort: meine Geburtsstadt Hamburg 
  • Termin: 02. und 03. Oktober 2015 (noch acht Tage) 
  • Preis: machbar

Perfekt. Nichts wie hin! Was für ein richtungsweisender Glücksfall mein Besuch der #DKonf2015 war, fange ich erst sechs Jahre später an zu begreifen. 

Am 2. Oktober 2015 kamen eine unterwegs getroffene Kollegin und ich kurz vor Beginn am Ehemaligen Hauptzollamt des Hafens Hamburg an. Keine Frage, dort zu tagen, hat etwas. Nur: Barrierefrei ist definitiv anders. Es gab Stufen und steile Treppen soweit die Augen reichten. Die Bestürzung der Organisatoren, das nicht berücksichtigt zu haben, wich dem unbedingten Willen, alle Barrieren optimal zu kompensieren. Daher hatte ich allzeit mehr als genug Unterstützung von vielen tollen Kolleg*innen. Egal, ob es darum ging, die Etage zu wechseln, meine Verpflegung zu sichern oder mich zur Toilette zu begleiten, damit ich beim Laufen mit meinen Gehstützen nicht stürzte.

Inklusion wurde kompromisslos gelebt, anders als meist in Deutschland üblich. Das spiegelte auch die Referentenwahl. Mein Favoritenvortrag „Leichte Sprache – Einblicke und Ausblicke“ wurde von Krishna Helmle gehalten. Es handelt sich dabei um eine stark vereinfachte Form des Deutschen, die dem niedrigsten Kompetenzniveau (A1) des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen entspricht.

Ich lernte, dass Leichte Sprache allen Menschen nutzt. Zum Beispiel bei:

  • kognitiven Einschränkungen
  • Lernbehinderungen
  • geringer Lesekompetenz
  • (noch) geringen Deutschkenntnissen

Krishnas mitreißende Schilderung ihres eigenen Weges hin zu Leichter Sprache sowie die Einführung in allererste Grundlagen waren Auslöser dafür, dass ich das Thema über Jahre mit Begeisterung verfolgte. Entgegen weit verbreiteter Vorurteile schränkt die Nutzung von Leichter Sprache die Zielgruppe keineswegs ein, sondern ist ein Teilhabe-Werkzeug für sie, das ihren Aktionsradius erweitert. Vergleichbar mit einem Rollstuhl, der seinen Nutzer*innen Bewegungsfreiheit und damit Unabhängigkeit schenkt.

Am 28. Mai 2021 habe ich, pünktlich zum Internationalen Tag der Leichten Sprache, meine viermonatige Fortbildung bei der Lebenshilfe abgeschlossen.

Und zum Schluss verrate ich, wann ich persönlich (als Leserin!) Leichte Sprache besonders liebe: Leichte Sprache nutze ich sehr, sehr gerne, um komplexe Sachverhalte im Sozialrecht zu verstehen. Probiert das mal aus…